Ein Ethnologe verrät, warum die Deutschen Döner und Pizza lieben und warum der Sonntagsbraten auf dem Speiseplan kaum noch eine Rolle spielt.
Marin Trenk spaziert in schöner Regelmäßigkeit durch das Bahnhofsviertel von Frankfurt. Dort ist er an allem interessiert: der pakistanische Imbiss mit Rinderfußcurry für 6,50 €, die Hinterhofläden der afghanischen Händler, die marokkanischen Supermärkte und die thailändischen Gemüsegeschäfte. In den Auslagen finden sich Köpfe vom Kalb, Hoden vom Lamm, Kuheuter und Hühnerherzen.
In Vierteln wie diesen offenbart sich dem Forscher unsere Welt. Schließlich ist Trenk an der Universität in Frankfurt am Main Professor für Ethnologie und hat sich darauf spezialisiert, das menschliche Essverhalten unter die Lupe zu nehmen. Er kann erklären, warum sogar in Westafrika der Maggi-Würfel berühmt geworden ist (Faszination des weißen Lebensstils) und warum ein Chicken Tikka Masala (Hühnchen in Tomatensoße) den Triumph Großbritanniens über die ehemalige indische Kolonie symbolisieren soll (ein Brite bestand auf viel Soße).
Trenk hat ein Buch dazu geschrieben, das von den globalisierten Essgewohnheiten handelt und parallel dazu auch noch auf Umwegen über Döner, Pasta und Pizza ein Sittenbild der deutschen bietet.
Trenk erklärt, dass sich Extremitäten und Innereien hierzulande nur noch in Enklaven fänden und zeigt auf die ausgestellten Köpfe, Kutteln und Füße. „Unserem Fleisch sieht man das Tier meistens gar nicht mehr an“, weiß Trenk. „Kotelett, Schnitzel, Filet und Hack überwiegen in den herkömmlichen Fleischereien, vielfach ist auch der einst so beliebte Hähnchenschenkel aus den Geschäften verbannt worden. Von der Brust stammen mittlerweile 80 % der verzehrten Hähnchenportionen. Und da erinnert meistens noch nicht einmal mehr der Geschmack an die tierische Herkunft.“
Er beobachte einen Megatrend der Invisibilisierung, sagt der Ethnologe. Die Mehrheit verzehrle zwar nach wie vor Fleisch, achte aber besonders darauf, dass es weder intensiv danach schmeckt noch so aussieht. Zudem griffen die Deutschen mittlerweile zu fast allem, was Trenk erstaunt.
In den fünfziger Jahren kamen die ersten fremden Gerichte mit den Gastarbeitern nach Deutschland, in der Heimat des verkochten Gemüses hat sich seitdem ein Wandel vollzogen, den der Ethnologe als Revolution beschreibt. „In allen sozialen Schichten wird mittlerweile sogar kalter roher Fisch auf kaltem klebrigen Reis, also Sushi, verspeist. Solange Exotik gewährleistet ist, die man trotzdem als typisch deutsch bezeichnen kann, scheint alles möglich.“
Trenk zeigt auf ein blasses Fenster mit bunter Leuchtreklame und erklärt, dass da ein Restaurant mit original malaiischer Speisekarte existiere. Die Karte des benachbarten chinesischen Restaurants listet seine Speisen ebenfalls in Originalsprache auf. Dies seien Ausnahmen, in Gegenden mit einem hohen Einwandereranteil typisch, hier kehre kaum ein Deutscher ein.
Trenk meint, dass hierin der Unterschied bestehe, das Ethno-Essen, das bei einer großen Anzahl an Gästen Anklang finde, sei auch so nach deren Vorstellungen domestiziert. „Dieses Muster der Aneignung gibt es weltweit“, so Trenk. „Wer sich nämlich auf wirklich Fremdes einlässt, der quetscht es in seinen vertrauten Rahmen.“
Die Küchen wurden von den Deutschen auf zum Teil eigenwilligen Wegen eingemeindet. Dabei legen sie Camembert, Ei oder andere Zutaten, die dem Original fremd sind, auf ihre Pizza, als wäre es ein Butterbrot, das man ordentlich bestücken muss. Ausdruck nationaler Sparsamkeit ist ferner der Aufstieg der Pasta zum Hauptgericht. Ein kostspieliger Zwischengang wird nicht benötigt. Kein Zufall ist es, dass sich gerade dieses Nudelgericht einer großen Beliebtheit erfreut, obwohl es in Italien kaum Bedeutung hat. „Die Spaghetti Bolognese bedient jenes Muster unserer Esskultur, dass immer wiederkehrt“, sagt Trenk. „Jede Menge Soße, viel Fleisch und ein Berg voller Kohlenhydrate.“
Der hiesige Geschmack überwiegt auch in den zahlreichen China-Restaurants. Im Reich der Mitte bedienen sich alle Gäste gleichzeitig aus allen Schlüsseln, in deutschen bekommt jeder seine eigenen Acht Kostbarkeiten. Vorher gibt’s ein sauer scharfes Süppchen, danach gebackenes Obst – so sieht ein klassisches Menü aus.
Der Döner hingegen hat als nationalen Lieblingsimbiss sogar die Currywurst auf Rang zwei verdrängt. Darin steckt dennoch immer öfter statt des strengschmeckenden, original Lammfleischs neutral anmutendes Hähnchen oder Rind. Und die Sushi-Box beinhaltet kaum frischen Fisch, sondern sehr oft aufgetaute Ware, was in Japan ein Unding ist.
Und die Mutigen, die immer asiatisch-scharf wollen? Den ernsthaft Neugierigen, den Weltläufigen? Dazu macht Trenk eine abwehrende Bewegung, da seiner Meinung nach die große Anzahl der Deutschen keinen erkennbaren Wert auf Authentizität lege.
Ein Grund dafür ist vielleicht, dass in Deutschland nie eine Nationalküche entwickelt werden konnte. Bereits nach der deutschen Reichsgründung im Jahr 1871 gab es 25 Bundesstaaten mit unterschiedlichen Küchentraditionen. Zuvor hatten sich in Deutschland die souveränen Fürsten in einem eher lockeren Staatenbund organisiert. Der Kaiserhof erhob im Gegensatz zum französischen Versailles das Essen nicht in den Rang eines Kulturguts.
So hieß das Motto Klos mit Soß, lokale Speisen blieben in ihrer Herkunftsregion wie Reibekuchen in Köln, panierter Kuheuter in Berlin, Ahler Wurscht in Hessen oder Aalsuppe in Hamburg. Als Konsens deutscher Küche galten eine Zeit lang höchstens Roulade und Braten. Ende der 1960er Jahre wurde dies von Protesten der Studentenbewegung in Frage gestellt. „Gerichte wie Schweinebraten mit Rosenkohl machte für sie jenes kleinbürgerliche Milieu aus, das auch die Nationalsozialisten in großem Maße propagiert hatten“, findet Trenk.
„Die Angst vor einem Comeback des Faschismus wurde dabei am Sonntagsbraten festgemacht. Deshalb hat sich auch damals die alternative Szene sehr stark für Spaghetti, Oliven und chinesischen Wein stark gemacht. Bis heute wirkt das nach. Bei vielen Deutschen sind Speisen wie Lahmacun oder Tom Kha Gai tatsächlich populärer als die gutbürgerlichen Gerichte früherer Generationen. Regelmäßig lässt Ethnologe Trenk Fragebögen in seinen Seminaren ausfüllen, das Resultat sei immer dasselbe: Für seine Studenten bedeuteten Königsberger Klopse und Nierenbraten nur Böhmische Dörfer.