Spießrutenlauf bei Döner-Doku!

Die Berliner Zeitung „Der Tagesspiegel“ berichtete jetzt über den kleinsten kulinarischen Nenner Deutschlands, dies soll nach Aussage des Autors der Döner sein. Der Döner mache satt und koste wenig. Vor allem in der Bundeshauptstadt ist die gefüllte Pita-Tasche längst eine bekannte und populäre Marke geworden.

Die Gazette hat sich nämlich auf die Spuren der Döner Herstellung begeben und wollte wissen, wie der Kebab fürs Partywochenende entsteht. Deshalb hat ein Reporter den Weg des Döner Fleischs begleitet Fazit: Die Döner-Doku war ein Spießrutenlauf.

Im Kebab Königreich ist es kurz nach neun, der graue Morgen kommt mit Herbstluft daher. An der Kreuzungsecke rotiert schon der Döner Spieß um die eigene Achse, die ersten Hungrigen werden bald den Laden stürmen. Hier also ist das Ende der Döner Nahrungskette. Die Berliner Gazette will aber erstmal an den Anfang schauen, um herauszufinden, woher der Döner kommt, wohin er anschließend geht.

Der Reporter möchte ferner Menschen treffen, die ihn herstellen, und jene, die ihn sich auf der Zunge zergehen lassen. Die Aktion wird „Mission Spießrutenlauf“ getauft und beginnt in Berlin Weißensee. Nach kurzer Nachfrage geht die Wellblechpforte der Aydin Döner Produktion auf, erst auf geduldige Nachfrage kann die ganze Geschichte mit dem Döner Hersteller die Tat umgesetzt werden. „Beim ersten Telefonat kroch die Skepsis durch die Leitung“, so der Autor.

Es folgte das Nachhaken, ob es denn um Gammelfleisch gehe, scheinbar ist die Branche sehr misstrauisch. Viele Döner Produzenten in und um Berlin wollten die Reportage mit dem „Tagesspiegel“ nicht mitmachen. Aydin sagte schließlich zu. Im Massenkonsumzeitalter ist es hip, sich zu den mündigen Verbrauchern zu zählen. Woher kommt die Tomate in meinem Salat, woher das Hemd, das ich trage. Auch der Gang des Döners will genauestens recherchiert sein, der Kunde hat einen Nachvollziehbarkeitsdrang.

Im Büro von Geschäftsführer Hanifi Aydin wird der Reporter empfangen, der Boss trägt grauen Strick und blaue Cordhose, besticht durch ruhige Sätze, seine kleinen Augen blinzeln, die großen Hände sind dabei meistens zusammengeschlagen. Aydin ist kein Döner König für die Schlagzeilen, wie es Remzi Kaplan sein möchte, hier sitzt ein mittelständischer Unternehmer mit Bodenhaftung, der sein Geschäft von der Pike auf nach oben geführt hat. Beim Westberliner, der zugleich Ost-Anatole ist, stammt der Begriff Geschäft von schaffen.

Aydin rief 1992 seine Firma ohne Studium ins Leben, wie Wirtschaft funktioniert lernte er schnell. Seine Döner Spieße werden mittlerweile in der Mongolei, in Barcelona oder in Prag gefuttert. Natürlich lernt man jetzt viel über Gastarbeiterkindromantik und den Tellerwäschermythos. Die Geschichte von Aydin klingt gut, der Selmade-Unternehmer erklärt: „Döner ist Tradition und nicht wie McDonalds.“

Kebab heißt auf Deutsch übersetzt: Drehen des Fleisches. Döner Kebab wurde früher eigentlich immer nur den reichen Leuten einmal in der Woche als Delikatesse aufgetischt, die High Society labte sich daran in den osmanischen Palästen. 1863 schrieb der Instrukteur der osmanischen Militär-Truppen Helmuth von Moltke in sein Tagebuch: „Auf einer hölzernen Scheibe erschien plötzlich der Kiebab bzw. kleine Stückchen Hammelfleisch, die in Brotteig eingewickelt am Spieß gebraten waren, ein sehr schmackhaftes, gutes Gericht.“ Auch Aydin verzichtet nicht auf Tradition, in seinem Büro steht ein Foto des Großvaters und ein anatolischer Flug. Aydin möchte nicht vergessen, woher kommt.

Aber welchen Weg geht eigentlich der Döner?

Um in die Produktionshalle zu kommen, muss man die Rezeption durchqueren, hier hängen Bilder von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sie sehr viel vom Döner Spiel hält. Aydin erklärt, dass der Döner Frau Merkel bei deren Besuch gut geschmeckt habe. Auch sie möchte sich mit der Döner Branche in der Politik zeigen, was für Aydin im Umkehrschluss bedeutet: „Der Döner ist längst nicht mehr der kleinste kulinarische Nenner Deutschlands, sondern er ist Deutscher als das halbe Hähnchen oder die Currywurst. Mit ihm können sich alle anfreunden: egal, ob Banker oder Geschäftsleute.“

In Deutschland drehen sich in rund 16.000 Döner Buden gut 600 t Fleisch pro Tag. Dabei erwirtschaftet die Döner Branche einen Jahresumsatz von rund 3,5 Milliarden €, bietet 60.000 Arbeitsplätze. Zum Vergleich: McDonalds setzt rund 4 Milliarden € im Jahr um. Dass die Reportage in Berlin stattfindet, hat seinen guten Grund: schließlich gibt es in der Bundeshauptstadt 1.300 Döner Imbisse.  So braucht jeder Berliner im Durchschnitt weniger als 5 min, um den nächsten Spieß drehen zu sehen. Deshalb gehört der Döner schon lange zum Versorgungsstandard bezüglich der Berliner Infrastruktur.

Außerdem sitzt an der Spree auch der Verein der Europäischen Döner Hersteller, im Kongresszentrum der Hauptstadt wird die Brancheesse „Döga“ abgehalten, außerdem kommt aus Berlin auch das Döner Quartett. Kadir Nurman, so sagt es die Legende, soll den Döner am Bahnhof Zoo erfunden haben. Damals war es ein Experiment, Fleischbrot zu verkaufen, mittlerweile ist der Boom ungebrochen. Vor einem Jahr starb der mutmaßliche Döner Erfinder mit 80 Jahren, auf sein Rezept hat er nie ein Patent anmelden lassen.

Dann treffen Aydin und der Reporter auf Adnan Iba, er ist der Qualitätstester und nimmt die Kisten mit Hackfleisch unter die Lupe, die von den Metzgerbetrieben angeliefert werden. Iba trägt eine Haube, ausgelatschte Schlupfhalbschuhe und einen weißen Kittel. Hier hat der Döner mit dem Fleisch auf dem Spieß noch wenig zu tun. Bergeweise hievt Iba das Hackfleisch in einen Kutter, der fünfmal so breit ist wie er selbst und mindestens doppelt so hoch. Iba ist schweigsam, schließlich hat er am Fleischwolf gelernt, dass Schweigen hier die Sprache ist, um guten Döner herzustellen.

Die Maschine zerkleinert pro Stunde rund 250 kg, dann wuchtet Iba das fertige Brät in eine Karre, die an Untertage-Vehikel erinnern, diese wird durch eine Flügeltür geschoben. Dahinter wird der Wagen an Faruk, Cafer und Kasim übergeben, sie stehen im küchenkachelweiß, wo sich das lagerhallenneon spiegelt.

Jetzt wird es kunstvoll, schließlich ist Döner schichten nicht einfach. Die drei arbeiten einem großen, grauen Tisch und blättern um den Dönerspieß im Wechsel das Hack aus dem Wolf und Fleisch vom Kalb, das aus einer anderen Kiste kommt und in Streifen geschnitten ist, Hoch- und Querrippe. Das Fett wird entfernt, schließlich sollte dessen Anteil nicht über 20 % liegen. Ein Streifen aus der Kiste, ein Klumpen aus dem Wagen mit dem zerkleinerten Hack. Wagen, Kiste, Wagen, Kiste. Zwischen den Handschuhen der drei wächst eine Skulptur, jeder Handgriff sitzt.

Endlich meldet sich auch mal einer zu Wort, Cafer verrät, dass er 8 h lang am Tag Döner kreiert. In dieser Zeit schaffen die Drei an die 100 Spieße. Wenn sie Pause haben, wird auf dem Pausenhof geraucht, Kette, mit dem alten Glimmstängel wird die nächste Lulle angefacht. Dann geht’s wieder ans Skulpturenschichten. Wenn ein Spieß fertig ist, rollt ihn Faruk in Zellophan-Folie und packt ihn auf die Waage. Ein Kebab kann zwischen 5 und 100 kg scher sein, der gerade fertig gewordene bringt 63 kg auf die Waage, ein Monster aus Kalb, dem ein Etikett verpasst und dann weiter gereicht wird. Er bekommt die Betriebsnummer DE-BE-10001-EG.

Jetzt wird der Spieß bei -40°C 9 h lang schockgefrostet, anschließend bei -18°C im Gefrierhaus gelagert, bis es zur Auslieferung kommt. Anschließend verabschiedet sich der Reporter von Chef Aydin, der ihm hinterher ruft: „In der Döner Branche sind unheimlich viele Menschen beschäftigt, es gibt auch Schwarze Schafe. Wenn die Mist machen, ist wieder der ganze Döner Schuld. Aber hinter einem Spielß stecken viel Verantwortung und Fleiß.“

Die Kühlkammern werden von Transportern gelehrt, mitten in der Nacht geht es in das schlafende Berlin, die Spieße werden auf die Ladefläche verbracht und in der Hauptstadt verteilt. Als Tamer um 6 Uhr morgens den Sprinter in Kreuzberg zum Bremsen bringt, wird am Kottbusser Tor zwischen Asia Imbiss und einer Drogerie „Tadims Bistro“ angesteuert.

Durch zwei feudelnde Raumpflegerinnen flitzt Tamer – den Döner Spieß geschultert – in die Küche, lässt das Monstrum hinter den Tresen rutschen. Etwa 63 kg wiegt der Döner, also ungefähr so viel wie ein Boxsack. Deshalb kommen da Tamer dessen breite Oberarme und das ausladende Kreuz zugute, der Döner ransport ist gutes Training. Er ruft: „Noch ist nicht Schluss für mich, ich hab es die Hälfte meiner Tour erst um.“ Als Tamer wieder auf dem Bock sitzt, muss er noch 15 Läden (18 Spieße) ansteuern, Berlin hat auch frühmorgens schon Lust auf Döner, Tamer verabschiedet sich wieder in die Dunkelheit.

Denn schon um 11 Uhr kommen die ersten Döner Hungrigen, im Tadim dreht sich der 63-Kilo-Koloss vorbei an den glühenden Lamellen des Grills, bei 200° C wird das Fleisch knusprig rotbraun gefärbt. Döner Dreher Cagdas Türkmen trötet: „Gleich ist er fertig, gleich ist er fertig. Niemals ist es zu früh für den Döner, man kann ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit essen.“

Ohne Döner wäre die Berliner Wochenendherrlichkeit aus Feiern und Saufen so überhaupt nicht möglich, schreibt der Autor, man brauche den Döner als Unterlage, zum Frühstück, als Fitmacher (ballaststoffreich, viele Vitamine, fettarm und hoher Proteingehalt), auch für Kohlehydratvermeider sei der Döner optimal geeignet.

Tadims Imbiss hat sich in Kreuzberg etabliert, dort gibt es in der näheren Umgebung mittlerweile 30 Konkurrenz-Buden. Trotzdem boomt Tadims Produkt, sein Bistro hat sich ein gutes Renommee erarbeitet. Selbst Michel Friedman stand schon hinterm Tresen, ebenso wie die Politiker Ströbele, Roth und Künast. Der Norddeutsche Rundfunk aus Hamburg hat eine Reportage gemacht, nistete sich dafür sieben Tage im Bistro ein.

Für den ersten Döner des Tages schneidet Türkmen den Spieß und sammelt die abfallenden Fleischstücke mit einer Minizange, legt sie zärtlich ins Pita-Brot, pro Zangengriff sind es rund 50 g, pro Döer zwei Griffe. Jetzt noch Salat und Soße, in Summe 250 g. „Natürlich müssen auch Zwiebeln drauf, die gehören doch dazu.“ Und jetzt: „Guten Appetit!“ Der Kebab-Koch erklärt: „Viele meinen, jeder könne einen Döner machen. Doch das ist falsch. Es handelt sich um eine Kunst, denn der Döner muss ein Arrangement sein, sonst schmeckt er nicht.“

Der Reporter bekommt die Tagespremiere und beißt in die krosse, zarte Fleischtasche, glaubt, dass nicht Kalbfleisch sondern ein Engel durch den Fleischwolf gedreht worden ist. Am Ende mache der Döner gut satt, er übersättige nicht. Der Döner Boss aus dem Tadim weiß, dass ein guter Döner nach und nach den Magen füllen muss, „davon hat man den ganzen Tag was.“ Für 3,50 € also eine prima Mahlzeit, in Berlin sind die Preise noch angemessen. In Köln oder Hamburg zahlt man oft schon 1 oder 2 € mehr. Auch 5 € pro Döner Tasche sind keine Seltenheit mehr.

Wenn Türkmen in der Nacht gegen 2 Uhr seinen Laden schließt, hängen von der 63-Kilo-Kanone nur noch kleine Krümel am Spieß. In ein paar Stunden kommt ein neuer Kebab von Kemal. Der Kreislauf der Kulinarik dreht sich wie der Spieß selbst. Auch heute wird Berlin wieder Lust auf Döner haben!

 

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